Rem viderunt, causam non viderunt
Aurelius Augustinus, 354 - 430: Contra Pelagium IV, 60
Wiens universitäre Hygiene
Inhaltsverzeichnis:
- W4.1Die Geschichte des Fachgebiets
- W4.2Die vorneuzeitliche Hygiene
- W4.3Die frühneuzeitliche Hygiene
- W4.4Das Zeitalter der Hygienischen Polizey
- W4.5Das Zeitalter der naturwissenschaftlichen Hygiene
- •Das universitäre Lehrfach 1875-1945
- •Das universitäre Lehrfach 1945-2009
- •Eine Auflistung der Lehrstuhlinhaber und Institutsvorstände
- •Das Institutsgebäude von 1908
- W4.6Eigene Publikationen, zum Thema passend
- W4.7Fremde Publikationen, zum Thema passend
Zum institutionellen Rahmen: Unter den rechtlichen Festsetzungen des organisatorischen Rahmens der österreichischen Universitäten von der Thun-Hohensteinschen Universitätsreform bis zum tatsächlichen Schlagendwerden des Universitätsgesetz 2002 waren Lehrstühle organisatorische Einheiten einer Universität, die von einem Professor besetzt waren und die die Lehre eines Faches bereitstellten. Ordentliche Universitätsprofessoren waren befugt, in ihrem Fachgebiet die gesamte Lehre frei auszuüben, außerordentliche Professoren vertraten meist nur ein Teilgebiet und mussten den Umfang ihres Anteils an der Lehre mit dem Ordinarius abstimmen. Inhaltlich waren beide frei in ihren Äußerungen. Institute in den Naturwissenschaften und Seminare in den Geisteswissenschaften waren organisatorische Einheiten, zeitweise als eigene Rechtskörper teilrechtsfähig organisiert, die verwaltungsrechtliche Aufgaben und Dienstleistungen erbrachten und dadurch häufig nicht zweckgebundenes Geld für die hauseigene Forschung beschafften. Ideale Verhältnisse herrschten, wenn der Lehrstuhlinhaber und der Institutschef in einer Person vereinigt wurden und diese Person an Forschung in ihrem Fach interessiert war und dieses Interesse mit Hilfe einer gelungenen Personalpolitik umsetzen konnte. Für eine Zeitspanne von ungefähr eineinhalb Dutzend Jahren vor und knapp nach dem Ende der Amtszeit des vorletzten Institutschefs erreichte das Hygiene-Institut Wien eine überregionale Bedeutung als Fachinstitution und partiell ein Weltklasse-Niveau in der Kompetenz. Eine detaillierte Darlegung der Daten und der Tätigkeiten der Mitarbeiter des Hygiene-Instituts findet sich in Flamm [2012]. Aus dieser stark historistischen und allzu wohlgesinnten Darstellung ging die folgende Deutung der Ereignisse und Leitmotive hervor, die den Grund für den Untergang des Wiener Hygiene-Instituts nach 130 Jahren Existenz illustrieren sollen.
Für Institutionen, die während der Zeit der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie benannt wurden, gelten folgende Benennungsregeln: K.u.k. - Kaiserlich und königlich - steht für gemeinsame Einrichtungen, z.B. die gemeinsame Armee, K.k. - Kaiserlich-königlich - steht für Cisleithanische, „Österreichische” Einrichtungen. Die Schreibweisen sind und waren verschiedenartig: kuk, k.k., K.K., kk und andere mehr.
Als „Institutionsgeschichte” (Geschichte der Beschaffenheit) und „Bestandsgeschichte” (Geschichte der Überlieferungen), dh als Darstellung des Werdens und der Veränderungen der Institution „Wiens Universitäre Hygiene” einerseits und des Bestandes an ihr zuzuschreibenden Expertisen in diversen Archiven andererseits, finden sich unterschiedlich tiefgründige „Hygiene-Geschichten” fast aller Fachliteratur und den Bestandsübersichten vorgeschalten. Eine vertiefende Darlegung samt dartuender Ausführungen wird in der Regel nur in jubiläumsbedingten Festschriften oder in untergangsschwangeren Abhandlungen mit Entlastungscharakter erreicht. In den formal mannigfaltigen und oft versteckt publizierten Organisationsgeschichten der Wiener Universitären Hygiene vermischten sich legitime Traditionspflege, Rechtfertigungsversuche von Lehrstuhlinhabern wegen der unterlassenen Versuche einer Implementierung archetypischer Leitbilder und illusorisches Ansinnen von Wissenschaftlern mit durchaus handfesten Absichten der Meinungsbeeinflussung: Denn die Geschichte der Wechselfälle hygienischer Einrichtungen lehrt Hygieniker und interessierte Leser Bedeutendes über die teils unvermutet gesellschaftspolitisch brisanten und verschlungenen Wege des Hygiene-relevanten Schriftguts. Selbst wenn eine Österreichische Hygienegeschichte wie die stark prosopographische Flamms [2012] sich auf das gegenwärtige Staatsgebiet beschränkt, so entgeht sie doch dank der bis heute andauernden Einflüsse aus der Habsburgermonarchie der Gefahr des Provinzialismus und behielt durch die geglückte Verfolgung spezieller Pfade des Wissenserwerbs bis zu ihrer Auflösung europäisches Format.
Eine Organisationsgeschichte der Wiener Universitären Hygiene ist zweifelsohne eine Geschichte einer Institution und damit eine Institutionsgeschichte. In diesem Zusammenhang wird die Institution „Hygiene” einerseits als dem Bereich Gesundheitspflege zugeordnete gesellschaftliche und hoheitliche Einrichtung gesehen, die insbesondere dem Nutzen der Allgemeinheit dient und andererseits als eine, bestimmbaren stabilen Mustern folgende Form menschlichen Zusammenlebens und Kooperierens. Gerade letztere Betrachtungsweise lässt die Erkenntnis reifen, dass solch eine Institution die eigenen Spielregeln festlegt, nach denen sie funktioniert oder zumindest in der Vorstellung der Betroffenen funktionieren sollte. Der Wille des Leitungsorgans und dessen Intentionen gestalten die Institution und legen deren fachlichen Erfolg und Reputation fest. Nach Douglass North neigen alle institutionelle Strukturen zur Verharrung im Bestehenden, insbesondere weil ökonomisch bevorzugte Akteure kein Interesse an der Änderung ihrer Begünstigung haben, ideologisch unterfütterte Sichten auf das Fach den Status quo unterstützen und jede Veränderung durch die Notwendigkeit altruistischen und kollektiven Handelns erschwert wird. Deswegen bleiben vom maßgebenden Kollektiv als ineffektiv angesehene Institutionen lange ohne strukturelle Änderungen bestehen, sie entwinden sich dem ökonomischen Druck der Effizienzerhöhung und der sozialen Dynamik sich verändernder Wertvorstellungen. Reformiert werden sie meist durch Zyklen von Destruktion, Neuaufbau, Blüte und Verfall.
Kann also die Geschichte der Wiener Hygiene als Fortschrittsgeschichte gelesen werden? Diese Ansicht erscheint mir sehr zweifelhaft zu sein, ist doch diese Institutionengeschichte gekennzeichnet durch das Fehlen einer erkennbaren Kontinuität der dahinterstehenden Intention. Die Institution Hygiene-Institut der Universität Wien war geprägt durch ihre Institutsvorstände, die ihre Individualvorstellungen von einer Leitungsfunktion mehr oder minder erfolgreich verwirklichten, niemals aber eine Systematisierung der Hygiene betrieben. Damit konnte sich eine Kultur der Österreichischen Hygiene in einem strengen Sinne eines freiwillig gemeinsam gepflegten Wertekanons aller Hygieniker, einer einvernehmlichen Deutung der Codes, niemals verwirklichen. Folgerichtig wurde von den Erstberufenen, den Hygiene-Ordinarien der österreichischen Universitäten, auch nie der Versuch einer reflektierenden Erzählung einer Kulturgeschichte der Hygiene Österreichs unternommen. Allein Flamm [2008] versuchte, die ungünstig verlaufene Institutionsgeschichte des Wiener Hygiene-Instituts mit Hilfe einer kursorisch erzählten Geschichte der Vorstands-Amtseinsetzungen zu beklagen.
Eine kurz gefasste, auf das Wesentliche komprimierte Geschichte der Hygiene Zentraleuropas samt einer Definition des Faches füllt die ersten Seiten der Abhandlung. Mit der Hygienegeschichte aus institutionengeschichtlicher Perspektive befasst sich der zweite und zentrale Teil des Aufsatzes, der allerdings einige, nur im Rahmen der Überlieferungsgeschichte und der Geschichte der Wiener Universität erklärbare Phänomene darlegt. Obgleich ontologisch gesichert ist, dass eine Wiener Hygiene existierte, ist diese Vergangenheit selbst für den Autor als Zeitzeugen epistemologisch nicht erreichbar. Legitim ist daher derzeit nur die Frage, ob man aus gegenwärtiger Perspektive Gründe für die Entfaltung und das Verlorengehen einer autarken Wiener Hygiene finden kann. Dem Autor ist bewusst, dass jede Generation ihrer Zeit entsprechende Fragen an die Geschichte stellt und damit das Historische und dessen wertende Beschreibung laufend einem Wandel unterworfen sind.
W4.1 Die Geschichte des Fachgebiets
Der Terminus hygieinos, bedeutend „gesund”, findet sich erstmalig im Titel eines Buches von Diokles Karystios (4. Jht vChr). In der Antike sind mit Hygiene alle medizinischen Maßnahmen gemeint, die der Gesundheitserhaltung dienen, ohne jedoch das heutige soziale Konzept des Menschen und das naturwissenschaftliche Konzept der kausalen Pathogenese anzuwenden. Heute ist Hygiene die Summe aller Maßnahmen zur Verhütung der Gesundheitsgefährdung, die von übertragbaren, speziell von Erregern hervorgerufenen Krankheiten ausgeht, mittels vornehmlich medizinischer und epidemiologischer Verfahren zum Zwecke der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit. Als Fach an einer Universität ist sie dann die Lehre von der Hygiene. Ihre Aufgaben sind die Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit - cit. Flamm [2008] -, wobei die Gesundheits-Definition der WHO auf die Abwehr von Infektionskrankheiten reduziert wird.
Hygiene, als Anleitung zur Verhütung von Infektionskrankheiten wahrgenommen, beeinflusst vermeintlich zunehmend die gegenwärtigen Lebenswelten der Menschen. Doch scheinen die Ansichten, welche Maßnahmen zu einer im Alltag ausreichenden Hygiene führen, nicht nur kulturell beeinflusst zu sein, sondern sich auch tatsachenwissenschaftlich entlang einer Zeitachse zu verändern. Angewandte Hygiene bewegt sich zwischen biologisch Entwickeltem und kulturell Gesetztem, zwischen epidemiologischen Erfordernissen und zivilisatorischen Bedürfnissen. Sind in einer Gesellschaft die beiden Ansprüche überhaupt nicht mehr in Einklang zu bringen, zerfallen erst die Städte wegen unangepasster Verrichtungen und danach die Gesellschaft wegen des Fehlens von kulturellen Zentren. Werden zu viele Ressourcen in rituellen Handlungen verbraucht, die hygienisch weitgehend unwirksam oder zuwiderlaufend sind, stockt das Bevölkerungswachstum einer Gemeinschaft wegen einer sich zwangsläufig einstellenden exzessiv hohen Kindersterblichkeit. Wird eine unnötig aufwendige Hygiene betrieben, fehlen die Mittel für andere, gewinnbringendere Maßnahmen des kollektiven Wohlergehens.
W4.2 Die vorneuzeitliche Hygiene
Abb. 1: Hygieia dea.
In der Antike wurde in den römischen Provinzen, auf deren Gebiet das heutige Österreich lag, eine exzellente angewandte Gesundheitserhaltung (≈ Hygiene) betrieben. Diese gliederte sich aus heutiger Sicht einerseits in eine, in ihrer Ausführung dem Einzelnen überlassene Diätetik (διαιτα = Lebensweise), ursprünglich alle Maßnahmen für eine geregelte Lebensweise umfassend, und einem kommunalen Anteil, einer hygienerelevanten Bauordnung. Zahlreiche Überreste von Bauten, insbesondere Aquädukte, Thermen, Kanalisationsrohre und Latrinen, zeugen in allen römischen Stadtruinengeländen vom hohen Stand der gemeinschaftlichen Hygiene. cit. Hassl [2020a]. Hygiene galt als ein Geschenk der Götter, als Kunst (ars), geschützt von der Göttin der Gesundheit, Hygieia, und sie wurde von dem heilenden Medizinhandwerk des Asklepios und der Heilmagie der von-allen-Krankheiten-befreienden Göttin Panakeia streng geschieden. Allerdings ist die auf Galen zurückgehende, originäre Vorstellung des bestimmenden Einflusses der sex res non naturales (Luft, Nahrung, Verdauung, Bewegung, Frohgemüt, Schlaf ), also der physiologischen Bedingtheiten bzw prozessualen Abläufe, auf die richtige Mischung der Körpersäfte und damit auf die Gesundheit des Menschen mit der antiken Welt untergegangen.
Die frühmittelalterliche Hygiene Europas war ein Faktum ohne theoretischen Unterbau. Durch die Teilung des römischen Reichs 395 drohte im Westen das Wissen der griechisch-sprachigen Gelehrten verloren zu gehen. Es ist nicht klar zu erkennen, ob der schleichende Verlust des Bewusstseins um die Wirksamkeiten kommunale Hygiene zur Destruktion der post-antiken Großstädte führte oder deren Devastierung durch Seuchen zum Wegfall vermeintlich unnützen Wissens. Der Niedergang der römischen Badekultur im sechsten und siebenten nachchristlichen Jahrhundert beruht in erster Linie auf den veränderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. cit. Steskal [2010]. Mit der Gründung der ersten Universitäten wohl erst im 12. Jahrhundert etabliert sich eine medizinische Ausbildung an den Hochschulen, die allerdings von der Kirche überwacht wurde. Im Hochmittelalter trat dann der Konflikt zwischen dem Postulat, dass eine Verhinderung von Krankheit ein Eingriff in den Plan Gottes sei und dem urchristlichen Gebot der Nächstenliebe zutage und führte zu einer Hemmung jeglicher gewollter prophylaktisch wirkender Hygiene-Maßnahmen. Konnte die Krankenpflege und -isolation noch mit dem Nächstenliebe-Gebot gerechtfertigt werden, waren alle kommunalen hygienischen Maßnahmen Sünden.
Die Geschichte der postantiken Hygiene in Zentraleuropa beginnt erneut im persönlichen Bereich, mit dem im Hochmittelalter weit verbreiteten städtischen Vergnügen des Badens in privaten und in öffentlichen Bädern. Das aus der Antike tradierte Baden bezog auch eine umfassende Körperpflege durch Wundärzte, Barbiere und Bader ein. Zeitgleich wurden auch wiederum Stadt- und Marktordnungen erlassen, die unsystematisch Anordnungen die Hygiene betreffend beinhalteten. Aus St. Pölten etwa ist der Stadtbanntaiding von 1367 überliefert, der eine strenge Markt- und Schlachtordnung mit einer organisatorischen Trennung des Verkaufs von „fettem” und von finnigem Fleisch vorsieht, sowie eine Abfallbeseitigungsordnung enthält. cit. Hassl [2009].
W4.3 Die frühneuzeitliche Hygiene
Im 16. und 17. Jahrhundert wird jede Seuche als Pestilenz bezeichnet, unbeschadet ihrer Ätiologie. cit. Flamm [2008a] p 7. Entsprechend unsystematisch und widersprüchlich sind dann auch alle Präventionsmaßnahmen: Ab 1500 gibt es hoheitliche Anordnungen zum Verhalten in Zeiten der Pestilenz, also Verwaltungsakte der Landesherren gerichtet an untergeordnete Verwaltungsbehörden. Daneben werden aber auch landesfürstliche Gesetze zur Hygiene an alle Rechtsunterworfenen erlassen. 1539 schließlich rät die Wiener Medizinische Fakultät unter Berufung auf Hippokrates zur Vorbeugung Häuser und Plätze sauber und wohlriechend zu halten und auf Plätzen große Feuer mit duftenden Hölzern zu unterhalten. 1540 endlich folgte eine Denkschrift des Dekans der Universität an den Stadtrat mit dem Titel
Die geringe Reputation der Medizinischen Fakultät der Wiener Universität beim Versuch einer Vorbeugung gegen Seuchenzüge wurde bei der Universitätsreform 1553 nicht beseitigt. Einer der Gründe war, dass zwar die artes liberales, die spätere Philosophische Fakultät, ein jedem Stand zugängliches Studium wurde, allerdings für die nächsten 70 Jahre innerhalb des Jesuitenkollegs. Das Medizinstudium hingegen blieb elitär und von Jesuiten-nahen Professoren dominiert. Aus diesen Bedingungen resultierte die heute abwegig anmutende Haltung der an der Wiener Universität ausgebildeten Ärzte und Hygieniker zu einer Prävention: In den (später) katholisch dominierten Ländern wurde als Ursache jeglichen Seuchenzugs meist der berechtigte Zorn Gottes angeführt, seltener die schlechte Luft - cit. Flamm [2008a] p 7 - und gar nie ein (biologisches) infektiöses Agens. Es erscheint heute befremdend, dass Ärzte ihrem eigenen Tun mit solchen Begründungen jegliche Existenzgrundlage entzogen - war Gesundung doch auf das Wirken Gottes zurückzuführen und nicht auf jenes des nur Ratschläge erteilenden Arztes.
Meist erst in der frühen Neuzeit realisiert wurde die kommunale Organisation von abgesonderten Unterbringungen von Siechenden, häufig in Form von Leprosarien, und von Quarantänestationen für Reisende. In Wien waren seit dem 13. Jahrhundert verschiedene Kranken-, Siechen- und Armenhäuser im Bereich zwischen der heutigen Alser Straße und der Währinger Straße angesiedelt. In die landesherrliche Kompetenz fielen die Infektions-Ordnungen: Ab 1561 folgten mehrere Kaiserliche Patente aufeinander bezüglich einer Betretungsordnung in Seuchenzeiten und der Sauberhaltung der Stadt; 1598 wurde das Generale erlassen, dass Kadaver von an Seuchen verendetem Vieh (gemeint sind Nutztiere) ohne vorherige Abhäutung in die Donau zu werfen sind. cit. Flamm [2008a].
W4.4 Das Zeitalter der Hygienischen Polizey
Ab dem 17. Jahrhundert versuchten die Landesherren und die Magistrate in ihren Territorien ein von ihnen geleitetes Gesundheitswesen einzurichten und ihre diesbezüglichen Anordnungen auch durchzusetzen. Diese Durchsetzung erfolgte mit Hilfe einer Ordnungsmacht, einer Polizei. Darunter sind vorerst einmal alle Regelungen von obrigkeitlichen Verhältnissen im Inneren einer öffentlich-rechtlichen Personengemeinschaft, eines Staatsvolkes, zu verstehen. Unter dem Begriff der „Polizei” fielen damals alle Eingriffsmaßnahmen zum Erhalt der öffentlichen Ordnung zusammen. Mit der Durchsetzung von Hygiene-relevanten Regulierungen wird in den Städten im 17. Jahrhundert der Magistrat befasst, der seine Tätigkeit mit Hilfe der akademisch geschulten Ärzte, der handwerklich ausgebildeten Wundärzte, der Apotheker und den Hebammen verrichtet. Vorerst gehören die Bader auch zu dieser Gruppe der magistralen Hilfspersonen, bis die Schließung der öffentlichen Bäder diesen Beruf aussterben ließ. Aus den akademisch geschulten Ärzten im Auftrag eines Magistrats entwickelte sich der Stadtphysikus, der die Funktionen eines Gesundheitsamtes und einer Gerichtsmedizin vereinte, also die spätere „Staatsarzneikunde” vertrat.
Während die Ausführung der Gebote der Diätetik als gesunde Lebensführung jedem Einzelnen überlassen waren, übernahm im Zuge der Aufklärung der Staat die Aufgaben der Gesundheitswiederherstellung und -erhaltung der Staatsbürger und der Lehre dieser Fächer. Dieser Grundgedanke führte zur Etablierung einer Hygiene-Ausbildung an der Universität, Staatsarzneikunde genannt, die den späteren kommunalen Sanitätsdienst (= angewandte zivile Hygiene) mit der Gerichtsmedizin vereinen sollte, also beides medizinisch-juristische Querschnittsfächer. Der Hauptvertreter dieses Typs von Hygiene in Österreich war Johann Peter Frank (∗ 1745 † 1821), der sich 1795 bis 1804 als Erwerbstätiger in Wien aufhielt. Er war dritter Direktor des 1794 neu gewidmeten Allgemeinen Krankenspitals (heute AKH, Vorgänger: Gerard van Swieten, Maximilian Stoll) und gilt als Begründer des öffentlichen Gesundheitswesens, früher „Volksgesundheit” und heute Public Health genannt. cit. Flamm [2012] p 25. Frank wollte also die Staatsverwaltung dazu nutzen, Menschen und ihre Haustiere in Städten vor (zoonotischen) Krankheiten zu bewahren, ihre Gesundheit zu fördern und die Lebenserwartung (der Menschen) zu maximieren. Er forderte eine Politik einer zivilen Hygiene, eine Etablierung eines öffentlichen Gesundheitswesens. Damit war er seiner Zeit um 75 Jahre voraus. Die nach seinem Abgang an der Wiener Universität etablierte Staatsarzneikunde hatte folgerichtig die Aufgabe, Studenten für hoheitliche Angelegenheiten auszubilden: Sie diente vornehmlich der Wahrung der bestehenden Gesetze zur Abwehr von Seuchen und der gesundheitlichen Erhaltung dem Staate nützlicher Untertanen. cit. Flamm [2012] p 15f. Die Staatsarzneikunde inkorporierte zwei Fachgebiete, beides Verwaltungsrechtsangelegenheiten mit einem medizinischen Facheinschlag: Die gerichtliche Arzneikunde, aus der sich später die Gerichtsmedizin entwickelte, und die „Medicinische Polizey”, die mit der öffentlichen, nicht-militärischen Gesundheitsverwaltung beauftragt war und die später in Sanitätspolizei umbenannt wurde. Diesem zivilen Teil der Verwaltung steht das ab 1805 nach der Schlacht von Austerlitz abgetrennte militärische Feld-Sanitätswesen gegenüber. Seuchenprävention und Gesundheitsökonomie werden heute noch als Aufgabe der Politik angesehen und sanitätspolizeiliche Vorschriften dienen unverändert der Bekämpfung und Überwachung von übertragbaren Krankheiten sowie deren Prävention. Die umfassende Hygiene war und ist im Europäischen Kulturkreis im Kern eine verwaltungsrechtliche Obliegenheit des Staates, zu deren Erfüllung aber spezielles naturwissenschaftliches Fachwissen benötigt wird. Die an der Wiener Universität 1804 von Andreas Joseph von Stifft (∗ 1760 † 1836) etablierte Staatsarzneikunde hatte folgerichtig die Aufgabe, Studenten für die Wahrnehmung hoheitlicher Angelegenheiten auszubilden.
Der Grund hierfür ist ein spezifisch österreichischer: 1522 wurde in einem Abkommen des späteren Kaisers Ferdinand I. mit König Ludwig II. von Ungarn die militärische Sicherung der ungarischen Grenze zum Osmanischen Reich besiegelt, aus der rasch ein Grenzkordon mit einem eigenen Grenzlehensrecht (1535) wurde. Dieser Zweck wurde durch die Ansiedlung serbischer und kroatischer Flüchtlinge auf verödetem Land bei Steuerfreiheit erreicht. Von der Vollendung dieses Grenzkordons 1764 unter Maria Theresia bis zu seiner Auflösung 1881 war er ein 1 900 km langer Grenzstreifen mit einer, dem Hof-Kriegsrat zur Verwaltung unterstellten Fläche von etwa 50 000 km2. Bei abnehmendem militärischen Nutzen nahm die seuchenhygienische Sicherung des Hinterlandes insbesondere gegen Pesteinbrüche im Laufe der Zeit erheblich zu. So steckten zB die Militärgerichtsbarkeit und die 1849 ins Leben gerufene Gendarmerie Reisende und Waren (!) bis zu 84 Tagen in Quarantäne, illegale Grenzübertreter und ihre Helfer und Vertuscher wurden während der Pestzeiten von Militärgerichten mit dem Tod bestraft, und beim grenzüberschreitenden Handel mit Schüttgut wurde der Käufer vom Verkäufer physisch vollständig separiert. Dieser Cordon sanitaire wurde von einer dafür aufgestellten Grenztruppe aus bewaffneten Bauern kontrolliert, an den legalen Grenzübertrittsstellen gab es Quarantänestationen, Kontumaz-Stationen genannt, in denen Reisende ihre Quarantänezeit ausharren mussten und Waren zwischengelagert und gereinigt wurden. Dieser Aufwand lässt sich nur damit erklären, dass eine übertragbare „Seminaria morbi” als Krankheits-Verursacher angesehen wurde und nicht etwa Bodendämpfe oder ein Ungleichgewicht der Körpersäfte. Der Cordon sanitaire führte durch die Erwartung der Obrigkeit auf eine Selbstversorgung der Grenztruppe und die Kostenersatzpflicht für die Insassen der Kontumaz-Stationen zur Verarmung der Grenzbewohner, zu Hungersnöten und zur zeitweiligen Unterbrechung des lokalen Handels, dem mit Schmuggel in großem Stil begegnet wurde. Da auf der internationalen Ebene die Quarantäne den Welthandel behinderte, folgte eine europaweite Debatte über sogenannte Quarantäneschäden, diese wurde insbesondere in den Sanitätskonferenzen des 19. Jahrhunderts geführt. Dabei stellte sich die Quarantänezeit als der umstrittenste Faktor heraus. Sie wurde in Österreich schrittweise immer mehr verkürzt, wodurch wiederum der seuchenprohibitorische Zweck des Cordon sanitaire soweit unterlaufen wurde, dass dieser bereits in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts als nutzlos angesehen wurde - zumindest im Zusammenhang mit der Cholera-Ausbreitung. Mit dem Sich-Durchsetzen der bakteriologischen Denkweise erfolgte konsequenterweise der Ersatz der Quarantäne durch Desinfektionsmaßnahmen, denn in dieser Theorie kann jeder lebende Erreger mit geeigneten Mitteln getötet und damit unschädlich gemacht werden. Dieses Versprechen einer Infektionskrankheiten-freien Welt erwies sich zwar im Zusammenhang mit (Influenza-)Virusinfektionen rasch als illusorisch, dennoch baut auch heute noch die evidence-based medicine auf einer chemisch-technisch herbeigeführten Verringerung der Anzahl an aktiven Erregern auf.
W4.5 Das Zeitalter der naturwissenschaftlichen Hygiene
Aber, im Kontrast zu Franks Vorstellungen einer strikten zivilen Hygiene wurden zwischen 1800 und 1850 auch die zivilen hygienischen Aufgaben hauptsächlich von den in der Josephinischen Militärakademie ausgebildeten Ärzten in einem militärisch geprägten Umfeld wahrgenommen. Der Grund könnte in Österreich in der katholisch geprägten Konservativität des Herrscherhauses liegen, die seit der Zeit Josefs II nur im Militärdienst durchbrochen werden konnte - im Falle areligiöser Hygiene-Spezialisten nur im Sanitätskorps der Armee. Zwar wurde bereits um 1700 von Giovanni Maria Lancisi (∗ 1654 † 1720) jeglicher Beitrag Gottes zum Krankwerden geleugnet, die Vorstellung einer Kontagiosität von Pestilenz-Erregern galt jedoch im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts als völlig überholt und als Anachronismus. Die bis heute fortbestehende Auseinandersetzung bezüglich der Ursache bestimmter Erkrankungen, die heute summarisch Infektionskrankheiten genannt werden, fand bis zur Wende zum 20. Jahrhundert zwischen Vertretern einer Theorie des maßgebenden Einflusses der äußeren Umwelt (Konditionalhygiene) versus einer ausschließlichen Kontagiosität von Mikroben statt. Anhand der Streitigkeiten im Zusammenhang mit den Cholera-Epidemien in Europa zwischen 1852 und 1896 lässt sich der Gegensatz festmachen: Während Konditionalhygieniker wie Pettenkofer das Grundwasser und den Boden für die Erkrankungen verantwortlich machten, vertraten andere Epidemiologen wie Filippo Pacini (∗ 1812 † 1883) und Robert Koch (∗ 1843 † 1910) eine strenge Theorie der Infektion durch Bakterien. cit. Fangerau & Labisch [2020] p 31. Letztere konnte sich dann für etwa 100 Jahre zumindest in Mitteleuropa durchsetzen, gegenwärtig wird sie jedoch wiederum aufgeweicht durch die Erkenntnis, dass das Immunsystem des Infizierten die äußere Umwelt des Infektionserregers darstellt. Die zur herrschenden Theorie korrespondierenden sozialen Auswirkungen waren Ausgrenzung, Denunziation und Stigmatisierung während der Cholera-Epidemien - cit. Fangerau & Labisch [2020] p 33 - danach Zwangstherapien und Debatten um isolierende Wegschließungen (HIV-Infizierte) und nun 2020 die Diskussion um Zwangsimpfungen.
Das universitäre Lehrfach 1875-1945
Zwar wurde 1805 erstmalig an der Wiener Universität eine Lehrveranstaltung mit einem Hygiene-Anteil, die Vorlesung „Medicinische Polizey”, abgehalten, an eine Aufwertung der Hygiene zu einem universitären Lehrfach war hingegen damals nicht zu denken. Denn die Hygiene wurde als niederer, unehrenhafter Erwerbszweig wahrgenommen, eines studierten Arztes unwürdig. Allerdings wurde durch die Erlassung des Reichs-Sanitätsgesetzes 1870 eine Situation geschaffen, in der die zentrale Verwaltung der Doppelmonarchie die Oberaufsicht und oberste Leitung des gesamten Sanitätswesens beanspruchte, jedoch nicht über im zivilen Sanitätsdienst tätige und dafür ausgebildete Ärzte verfügte. Die das Gesetz vollziehenden Länder drängten daher auf die Schaffung von universitären Ausbildungsstellen, also von Lehrkanzeln für öffentliche Hygiene an den in der Monarchie bedeutenden Universitäten. Zudem begannen in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts die Entwicklung der Bakteriologie in den universitären Instituten und Krankenanstalten und damit die naturwissenschaftliche Erforschung der Ätiologie infektiöser Erkrankungen. Da aber in Österreich von Anfang an und bis heute ein Konzept zur Einbindung der Hygiene in die universitäre Medizin fehlt, waren der Anspruch an einen Hygiene-Lehrstuhl und die letztlich realisierte Ausformung nicht in Einklang zu bringen. Es sollte das Zeitalter der erstarrten Medizinalpolizei im österreichischen Teil der Monarchie beendet werden und eine naturwissenschaftlich fundierte Seuchenprävention etabliert werden: Gleichzeitig aber gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und nicht-ärztlichen Hygienikern beschwerlich und war immer belastet durch erkenntnistheoretische Missverständnisse. Naturwissenschaften erzeugen auf experimentellem Weg Wahrscheinlichkeiten des Eintritts von Prognosen über die Zukunft von Objekten, das Heilwesen als Sozialwissenschaft analysiert und beeinflusst Wechselwirkungen von Systemen mit Handlungs- und Verhaltensprozessen selbst handelnder Akteure.
Als Begründer einer akademisch unterbauten Hygiene in Österreich gilt Franz Seraph Cölestin Ritter von Schneider (∗ 1812 † 1897). cit. Lohff [2018b] p 117 & 125. Schneider war von 1854 bis 1870 Lehrender für Chemie am Josephinum, der medizinisch-chirurgische Akademie zur Ausbildung von Militärärzten, dann bis 1876 Lehrstuhlinhaber für Allgemeine und Medizinische Chemie an der Universität Wien und 1875/6 Dekan der Medizinischen Fakultät. Er baute das österreichische Sanitätswesen aus, war Gemeinderat der Stadt Wien, Präsident des Obersten Sanitätsrats und Mitglied der Kommission für den Bau der Ersten Wiener Hochquellwasserleitung. Er war der letzte akademische Lehrer alter Schule, der die Fächer Chemie und Medizin vereinte und der erste Mediziner an der Universität Wien, der eine wissenschaftlich-experimentelle Hygiene und eine naturwissenschaftliche, forensische Toxikologie betrieb und erneut verband, sodass das altväterische Konzept einer auf Hoheitsrechten basierenden Verbindung von Hygiene und Gerichtsmedizin, die „Staatsarzneikunde”, als universitäres Lehrfach prolongiert wurde. Zudem wurde durch sein Wirken die spätere Konzeption der Wiener Hygiene vorweggenommen, da er neben seiner Lehr- und Experimentaltätigkeit zahlreiche Gutachten verfasste.
Als Ende Juni 1873 während der Weltausstellung in Wien die schlimmste Choleraepidemie ausbrach, die diese Stadt jemals heimgesucht hat, war Feuer am Dach der städtischen Hygiene. Dabei war das Desaster, das auch zum Staatsbankrott Österreichs führte, auf Grund der Erfahrungen mit der Cholera-Epidemie des Jahres 1831 vorhergesehen worden. cit. Angetter-Pfeiffer [2021]. Es sollte die Trinkwasserversorgung Wiens durch den Bau einer Hochquell-Wasserleitung noch vor der Weltausstellung auf ein hygienisch tragbares Niveau gehoben werden, diese wurde aber wegen diverser selbst gemachter Verzögerungen erst im Oktober 1873 und damit typisch österreichisch zu spät fertig gestellt. cit. Bartl [2021]. Auf der Suche nach Verbesserungen für künftige kommunale Großereignisse wurde den zuständigen Behörden das Fehlen von an einer Universität ausgebildeten Fachärzten für Hygiene vor Augen geführt. In der Natur einer Universität liegend stimmte daher am 19. Dezember 1874 das Professorenkollegium der Medizinischen Fakultät für die Errichtung einer außerordentlichen Professorenstelle für Hygiene und deren Besetzung durch einen Militärarzt und Assistenten Schneiders, den Privatdozenten für forensische und hygienische Chemie K.u.k. Regimentsarzt (= Hptm) Josef Nowak, verweigerte der neuen Professorenstelle aber gleichzeitig jegliche Ausstattung. Die Stelle war zwar besoldet, ihr fehlten allerdings Assistentenstellen und eigene Laboratorien an der Universität. Von Oktober 1875 bis 1881 arbeitete Nowak in den chemischen Laboratorien des Militärsanitätskomitees im Militär-Garnisonshauptspital I hinter dem Josephinum, die er bis dahin auch leitete, dann in vier kärglichen Räumen in der Alten Gewehrfabrik am Alsergrund, der „K.k. Flintenschifterei”, der Keimzelle des „Hygienischen Instituts”. Dem Arbeitsumfeld zum Trotze entsprang in diesen Jahren seiner Feder das erste österreichische Fachbuch für Hygiene mit dem Titel Die Infections-Krankheiten Vom Ätiologischen Und Hygienischen Standpunkte (1882), und ein Lehrbehelf betitelt Systematische Zusammenstellung der wichtigsten hygienischen Lehrsätze und Untersuchungs-Methoden (1881). Wegen einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit Nowaks übernahm 1883 Florian Kratschmer supplierend die Lehrbeauftragung. Aufgrund der immer drückender werdenden Unzulänglichkeit der Arbeitsbedingungen bemühte sich Nowaks Nachfolger als Institutsleiter, Max (von) Gruber, ab 1887 um eine geeignete Arbeitsstätte und Geschäftsstelle, die er durch die Gründung der Staatlichen Allgemeinen Untersuchungsanstalt für Lebensmittel auch realisieren konnte. 1902 verließ er die Wiener Universität und ging nach München. Überschattet ist sein Wirken in Wien durch die fatal verlaufene Infektion eines seiner Assistenten, Georg von Hofmann-Westenhof, der am 23. Oktober 1889 an einem sich höchstwahrscheinlich im Laboratorium zugezogenen Rotz (= Malleus) im Alter von 29 Jahren verstarb. Beklagenswert kurz ist die Dauer des Verweilens von Karl Landsteiner (∗ 1868 † 1943), dem späteren Nobelpreisträger, am Institut, der vom 1. Jänner 1896 bis zum 1. November 1897 hier als Assistent tätig war.
Das funktionelle Konzept einer Wiener Hygiene mit den systematisierten Stellen eines Professors, zweier Assistenten und eines Demonstrators und die Konzeption zweier verzahnter Hygiene-Institutionen, Lehrstuhl und Lebensmittel-Untersuchungsstelle, wurde von Gruber angebahnt und von seinem Nachfolger Arthur Schattenfroh zur Ausführung gebracht. Er konnte sein Konzept eines Konglomerats mehrerer Hygiene-relevanter Institutionen an einem Ort an die neuen Gegebenheiten in einer damals vorbildlichen baulichen Umgebung, dem Gebäude Hygiene-Institut in Wien 9, adaptieren, jedoch wurde dieses Konzept niemals in volle Wirkung gesetzt. Denn die beiden anderen, zwar organisatorisch selbständigen, damals jedoch durch eine Personalunion des Vorstandes, Richard Paltauf (∗ 1858 † 1924), miteinander verknüpften und fachlich mit der Hygiene verbundenen Institutionen im Institutsgebäude, das Institut für Allgemeine und experimentelle Pathologie und das Serotherapeutische Institut, wurden nach den Wünschen Paltaufs so organisiert, dass sie jederzeit auch getrennt vom Hygiene-Institut weiter arbeiten konnten. Nach Paltaufs Tod 1924 begann das Konglomerat zu zerfallen. Grund für den Zerfall waren die folgenschweren Kämpfe bei den Nachbesetzungen sowohl des Hygiene-Clusters als auch der Paltaufschen Einrichtungen. cit. Wagner-Jauregg [1950] S. 84.
1923 beschlossen führende Professoren der Wiener Medizinischen Fakultät für den freiwerdenden Hygiene-Lehrstuhls und die Direktion des Hygienischen Instituts den 1919 als ordentlichen Professor nach Basel berufene ehemaligen Österreichischen Militärhygieniker K.u.k. Oberstabsarzt (= Obstlt) Robert Doerr (∗1871 †1952) vorzusehen. Er war von allen in Betracht gezogenen Kandidaten die herausragende erste Wahl. Eine kleine, aber entschlossen ethisch solipsistisch agierende Gruppe rund um H. Reichel verhindert die Berufung dieses exzellenten Meisters der Bakteriologie (Zitat aus dem Berufungsgutachten) jedoch zugunsten Reichels Freund und Onkel, Roland Graßberger. Von derselben Gruppe wurde Doerr als Nachfolger Paltaufs auf die 1924 vakant gewordene Lehrkanzel für allgemeine und experimentelle Pathologie verhindert, die nur provisorisch mit dem tauben (!) Carl Rothberger (∗1871 †1945) besetzt wurde. Der damalige Dekan J. Wagner-Jauregg ([1950] S. 85) bezeichnete diese Intrige als eine Aktion, die den Niedergang der Wiener medizinischen Fakultät einleitete. Der Niedergang der Hygiene-Gruppe war bereits im vollen Gange: Ernst Pribram, 1924 Direktor am Staatlichen Serotherapeuthischen Institut und außerordentlicher Professor für allgemeine und experimentelle Pathologie, emigrierte 1925 nach Chicago, sein Nachfolger Rudolf Kraus (∗1868 †1932), Direktor des Serotherapeutischen Instituts und ab 1927 Schriftführer der Internationalen mikrobiologischen Gesellschaft, verließ Wien 1928 um in Chile Direktor des Sanitätswesens zu werden. Friedrich Silberstein (∗1888 †1975) wurde als Prüfer für die Lehrveranstaltungen eingesetzt und 1938 vertrieben. Der Leiter der Tuberkuloseabteilung am Serotherapeutischen Institut Ernst Löwenstein (∗1878 †1950) musste 1938 nach Berkeley (USA) emigrieren. Auch der hauseigene Pathologe Otto Saphir (∗1896 †1968) emigrierte. Bereits 1921 wurde der Hygieniker und Begründer der sozialen Medizin in Österreich, Ludwig Teleky (∗1872 †1957), aus der Universität gedrängt, er ging nach Düsseldorf, kehrte 1933 nach Wien zurück, wo R. Graßberger die Wiederaufnahme seiner Dozentur verhinderte und emigrierte 1938 schließlich in die USA. Heinrich Manfred Ritter von Jettmar (∗1889 †1971) musste zuerst in Russland (1915-21/22-24) und dann in China (1924-31) als Hygieniker tätig werden, bevor er sich 1934 in Wien für Hygiene habilitieren konnte. Er legte 1938 seine Assistentenstelle am Institut zurück und ging erneut nach China.
Das Wirken von H. Reichel am Institut erwies sich aber darüber hinaus als unglückselig: 1905 ans Institut gekommen, verschob sich 1918 der Akzent in seinen Arbeiten von Bakteriologie und Desinfektionslehre zu Bevölkerungspolitik, -statistik und Eugenik. Er war führend in der Eugenik tätig, gestaltete unter Verwendung von eugenischem Gedankengut die Zweite Wiener Hygiene-Ausstellung 1925 mit, und trug so beträchtlich zum letztendlichen Reputationsverlust des Institutes bei. 1933 wurde H. Reichel Ordinarius für Hygiene in Graz. Er vermied es aber tunlichst, NSDAP-Mitglied oder -Anwärter zu werden.
Unter Graßbergers Leitung wurde der Arbeitsbereich des Instituts auf Schul-, Sozial- und Psychohygiene ausgeweitet und 1925-6 die Räume und das Personal des aufgelösten Instituts für pathologische Histologie und Bakteriologie inkorporiert. 1929 trennte man auf Veranlassung des Institutschefs die Untersuchungsanstalt für Lebensmittel personell und organisatorisch vom Hygiene-Institut ab, sie verblieb aber unter ministerieller Führung mit einem Direktor als Leiter im Gebäude verortet. Dadurch gingen dem Hygiene-Institut erhebliche Einnahmen verloren.
Der nächste Institutsvorstand, Max Eugling, war als vorerst selbst eingeräumter, später geleugneter Anwärter der NSDAP, Ortsgruppe IX, seit 1941 Parteigänger und wurde 1946 im Zuge der Entnazifizierung pensioniert. 1939 zog das Serotherapeutische Institut aus dem Gebäude aus um Platz für ein Rassenbiologisches Institut zu schaffen. Allerdings wurde die Eröffnung eines Fächer-umfassenden Rassenbiologischen Instituts auf Grund von Abgrenzungsdifferenzen zwischen der Philosophischen Fakultät, dem Anthropologischen Institut und dem Berliner Ministerium erst im Juni 1942 verwirklicht. Es wurde 1945 wieder geschlossen. Außerdem wurde nach deutscher Studienordnung bereits 1939 am Institut eine Tropenabteilung geschaffen, die 1945 ebenfalls geschlossen wurde. Ein Institut für Tropenmedizin entstand dann 1974 in Folge der Zunahme von Fernreisen und wurde mit der bereits bestehenden Impfambulanz vereinigt, es wurde in einigen Räumen im Gebäude untergebracht.
Im Wirkungskreis der Wiener Hygiene kann paradigmatisch für die Universität Wien nachvollzogen werden, wie eine universitäre Einrichtung und ihre Angestellten in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg ihren eigenen moralischen Ruin einleiteten: Sich selbst gar nicht allzu intensiv in die austrofaschistischen und die als oktroyiert empfundenen NS-Strukturen verstrickend, unterstützten opportunistische Akteure die Verhinderungs- und Entlassungspolitik der Universität Wien und profitierten persönlich durch dieses unredliche Vorantreiben ihrer eigenen Karrieren. Die nach dem Krieg weithin gepflegte „Von-Nichts-Wissen”-Politik und die daraus konsequenterweise resultierende Nicht-Abgrenzung von namensähnlichen, jedoch verbrecherischen NS-Institutionen trugen ihren Teil bei zur fortwährenden Ausgrenzung der Hygiene aus den philanthropen, heilenden Medizindisziplinen. Die Provinzialisierung der Wiener Medizin kann auch am Rückgang der Anzahl der Professoren und Dozenten an der Wiener Medizinischen Fakultät nachvollzogen werden, deren Zahl im Jahre 1949 einen folgenschweren Tiefststand erreichte. Daraus erwuchs eine befremdlich anmutende Vorgangsweise im Rahmen von Nachbesetzungen, die zwar ehemalige Mitglieder von NS-Organisationen zumeist ausschloss, aber zuließ, dass Involvierte in Fleckfieberversuche im KZ Buchenwald Ordinarius wurden (R. Bieling). cit. Klee [1997 & 2005].
Das universitäre Lehrfach 1945-2009
Zwar wurde nach heutigem Wissenstand keiner der Professoren am Hygiene-Institut einem Verfahren zur „Enthebung und der Behandlung durch die Sonderkommission” unterzogen, dennoch entstand durch die Unterstützung der übereilten Wiederaufnahme der Lehre an der Universität Wien im Mai 1945 zum Zwecke einer „Unverzichtbarmachung” von belasteten Lehrpersonen und der sub-ministeriell abgesegneten Verhinderung der Rückkehr vertriebener Universitätslehrer ein Imageschaden, von dem sich das Wiener Hygiene-Institut nie mehr vollständig erholen konnte.
Der erste Nachkriegs-Lehrstuhlinhaber, Marius Kaiser, begann den Wiederaufbau des Hygiene-Lehrstuhls und die Neuorganisation der Aufgaben des Instituts. Bereits im Juni 1945 wurde der Lehrbetrieb auswärts wieder aufgenommen, ab 1950 dann im restaurierten Hörsaal des Hauses. Im Mai 1947 wurde der umfassende Betrieb aller vier Institute im Haus aufgenommen, alle von M. Kaiser geleitet. Im Zuge des Wiederaufbaus des Institutsgebäudes wurde 1950 an der Gürtelfassade ein architektonisch desaströser, turmartiger Aufbau zum Zwecke der Durchführung bioklimatischer Untersuchungen errichtet.
Kaisers Nachfolger, Richard Bieling, änderte den Namen der bis dahin Hygienisches Institut genannten Einrichtung in Hygiene-Institut unter dem Vorwand, nur so eine medizinische Hygiene etablieren zu können. Dazu schuf er eine Arbeitsgruppe Virologie, die - entgegen der Intention einer Einbindung der Hygiene in die Medizin - später beinahe ausschließlich von Nicht-Ärzten betrieben wurde. Er versuchte, den wissenschaftlichen Betrieb straff zu führen und eine „Forschung im großen Stil” zu begründen. Wenig änderte er an den dazu völlig unzureichenden Arbeitsbedingungen und dem unguten Arbeitsklima, über das dem Autor von betroffenen Zeitzeugen glaubhaft berichtet wurde. Dem vorgeblichen Mangel an qualifiziertem Personal begegnete er mit wenig weitsichtigen Maßnahmen, wie der Einladung einer im Ruhestand befindlichen Kollegin zur maßgebenden Tätigkeit am Institut. Dadurch wurde nicht nur einem jungen Akademiker die Möglichkeit der Qualifikation und der wissenschaftlichen Entfaltung genommen, zudem wurde die einem Lehrstuhl innewohnende Obliegenheit, die Hervorbringung einer Schülerschar, hintertrieben.
In der kurzen Amtszeit des unerwartet verstorbenen Hans Moritsch wurde die Arbeitsgruppe Virologie ausgebaut und sodann eine biologische Abteilung zur Erforschung der Epidemiologie des FSME-Virus und eine Impfambulanz gegründet. In der ein-Viertel-Jahrhundert langen Amtszeit Heinz Flamms etablierte sich mehrere zeitgemäße Arbeitsgebiete im wahrnehmbar laufend an Ansehen zugewinnenden Hygiene-Institut: Eine Krankenhaushygiene, eine Medizinische Parasitologie, eine Tropenmedizin mit einer Ambulanz, eine reformierte Lebensmittelhygiene und eine Sozialhygiene. Flamm förderte die Gründung von selbstständigen Instituten, um daraus einmal mehr eine effektive „Hygienegruppe” zu formen: 1970 das Institut für Umwelthygiene, 1971 das Institut für Virologie, 1974 das Institut für Tropenmedizin und 1983 das Institut für Sozialmedizin. Im Rahmen des bundeseinheitlichen Toxoplasmose-Screenings Schwangerer wurden die Aufgaben eines Universitäts-Hygiene-Instituts vereint: Gutachtenerstellung, Kreation und Etablierung von Testverfahren, epidemiologische Forschung und daraus resultierende Lehre. Letztere zusammen mit der mikrobiologischen Diagnostik widerspiegelt zwar die ursprüngliche Konzeption des Wiener Hygiene-Instituts, die Flamm allerdings auf die beiden der Zeit angepassten Bereiche „Öffentliche Gesundheit", heute public health und Mikrobiologische Determination stützte. cit. Flamm [2012] p 16.
1991 wurde Manfred Rotter Leiter des Instituts, das in Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie umbenannt und mit einer Klinischen Einheit in einem Krankenhaus ausgestattet wurde. Entgegen der Intention der Neubenennung wurde die medizinische Erheblichkeit der klinisch-diagnostischen Einheit im Institutsteil in der Kinderspitalgasse zusehends ausgedünnt. Die Umbenennung erfolgte ua deswegen, weil die von Rotter geleitete Abteilung Klinische Mikrobiologie in das wenige Schritte entfernte Allgemeine Krankenhaus übersiedelte. Als dann 1994 auch noch die Abteilung Krankenhaushygiene aus dem Haus auszog und ebenfalls ins AKH übersiedelte, wurden in den Teilbereichen mit Kernkompetenz das angewandte und das theoretische Fachwissen personell und organisatorisch getrennt. Unbeabsichtigt diese Tendenz verstärkend wurde 1996 ein 228 m2 großes Geschäftslokal am nahen Zimmermannplatz als Außenstelle des Instituts errichtet, das erst 2003 eine Betriebsbewilligung als Krankenanstalt erhielt. Rotter betrieb 2000 die Zertifizierung des Instituts gemäß ISO 9001:2000 und die Akkreditierung der Wasserabteilung als Prüf- und Überwachungsstelle gemäß ISO 17025, EN 45004 im Jahre 2003. Allerdings konnten die Institutsangehörigen während dieses Ordinariats ihr Agieren nicht an einem „mission statement” des Instituts festmachen, eine steile Hierarchie mit einer Abschottungstendenz der Spitze etablierte sich, und nun offen ausgetragenen Partikularinteressen und Verhinderungstaktiken begannen im Instituts-Alltag wiederum Raum zu gewinnen. Die besten Absichten zur Erschaffung eines entstaubten, ökonomisch schlagkräftigen und ökologisch ausgerichteten Service-Unternehmens scheiterten am Mangel an Kompetenz in der Personalführung und an Weitblick.
Obgleich mit der Inkraftsetzung des Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1975 die Ordinarienuniversität in Österreich ihr endgültiges Ende fand und kollegiale Leitungsorgane auf den Universitäten installiert wurden, waren die ab dann bis zur Auflösung des Instituts tätigen Institutsvorstände nicht in der Lage, die Vorteile einer Verantwortung-delegierenden Teamführung zum Zwecke der Erzielung eines Gruppenerfolgs zu nutzen. Sie verharrten in ihren höfischen Traditionen der Konsultation von auserkorenen Ratgebern und des Sich-Begebens in Akklamationsgremien. Dieser historistische Führungsstil trug wesentlich zur Marginalisierung des Instituts innerhalb des Zirkels der zunehmend weniger durch den Lehrstuhlinhaber geprägten und um Produktionsmittel und Reputation konkurrierenden Universitätsinstitute bei. Die im UOG 1993 beschiedenen Teilrechtsfähigkeit mit ihrem Bonus für engagierte Institutsleitungen mit Team-Unternehmergeist führte zu jener Konkurrenzsituation und den Animositäten im Professorenkollegium, die die Voreingenommenheit und die tradierte Geringschätzung der klassischen Mediziner gegenüber den medizinischen Hilfswissenschaften wieder aufleben ließen.
Mit der am 1. Jänner 2004 erfolgten Implementierung des Universitätsgesetzes (UG) 2002 wurden die bis dahin teilrechtsfähigen Institute an der Universität Wien in unselbständige Organisationseinheiten umgewandelt und die Medizinische Fakultät der Universität Wien in eine selbständige, vorgeblich autonome, jedoch zumindest anfangs weitgehend Budget-finanzierte Medizinischen Universität (MUW) überführt. Die MUW liquidierte dann mit der Ruhestandsversetzung Rotters das Ordinariat für Hygiene. Das im Gebäude befindliche Personal wurde im Juli 2009 mit dem des auswärtigen Departments für Molekulare Immunologie vermischt und daraus eine Organisationseinheit namens Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie geformt. Bereits zuvor, im Juni des gleichen Jahres, war die Abteilung für Medizinische Parasitologie aus dem Hygiene-Institut herausgetrennt worden und in das Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin eingegliedert worden. Aus dem fusionierten Teil, dem Institut für Tropenmedizin und anderen, der Hygiene völlig fachfremden Einheiten wurde das Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der autonom verwalteten Medizinischen Universität Wien geformt. Die Mitarbeiter des Hygiene-Instituts, mit Ausnahme der ernannten Beamten, wurden teils freiwillig, teils durch Gesetz und Zeitlauf in privatwirtschaftliche, häufig nur mehr kollektivvertraglich abgesicherte Dienstverhältnisse zur MUW überführt. cit. Verändert, ergänzt & erweitert Flamm [2008, 2008a & 2012]. 2020 waren, abgesehen vom Namen einer Organisationseinheit und dem Gebäude, keinerlei Spuren an Expertise des k.k. Hygienischen Instituts mehr feststellbar.
Eine Auflistung der Lehrstuhlinhaber und Institutsvorstände
Name | andere Positionen | ∗ | † | sup- plierende Bestellung |
reguläre Bestellung | Beendigung | Habilitation | Ernennung ao Univ-Prof. |
Berufung o. Univ.-Prof |
Bemerkungen |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Josef Nowak | Kk Regimentsarzt | 01.11. 1841 |
26.03. 1886 |
19.12.1874 | 1883/1886 | 09.11. 1873 |
01.10. 1875 |
- | ao. Univ.-Prof. durch ah Entschließung 24.05.1875 | |
Florian Kratschmer | Generaloberstabsarzt | 20.04. 1843 |
11.06. 1922 |
31.07. 1877 |
1888 | 1903 | 1883-1887 supplierender Lehrender | |||
Max von Gruber | 06.07. 1853 |
16.09. 1927 |
23.03.1887 | 30.09. 1902 |
12.08. 1882 |
03.04. 1884 |
12.10. 1891 |
ao Univ.-Prof. in Graz; o. Univ.-Prof. durch ah Entschließung; Dekan 1896/7 | ||
Arthur Schattenfroh | 27.10. 1869 |
12.10. 1923 |
01.10.1902 | 31.10.1905 | 12.10. 1923 |
21.07. 1898 |
05.03. 1902 |
31.10. 1905 |
ao Univ.-Prof. ad personam; Dekan 1908/9 & 1917/8 | |
Roland Graßberger | 26.11. 1867 |
04.12. 1956 |
13.10.1923 | 01.10.1924 | 01.10. 1936 |
1902 | 16.10. 1906 |
01.10. 1924 |
ao Univ.-Prof. ad personam; titl. o. Univ.-Prof: 1917 | |
Max Eugling | 01.01. 1880 |
23.06. 1950 |
1937 | 28.04. 1945 |
1922 | 1928 | - | titl. ao Univ.-Prof.: 1923 | ||
Marius Kaiser | Medizinalrat | 09.09. 1877 |
03.01. 1969 |
??.??.1946 | 30.09. 1948 |
26.07. 1918 |
- | 0?.08. 1946 |
Weiterführung der Geschäfte bis 01.1952 | |
Richard Bieling | 03.09. 1888 |
08.08. 1967 |
01.01.1952 | 1959 | 1923 | 1927 | 30.11. 1951 |
ao Univ.-Prof. in Frankfurt/Main | ||
Hans Moritsch | 26.07. 1924 |
12.11. 1965 |
01.10.1959 | 26.03.1962 | 12.11. 1965 |
25.01. 1957 |
- | 26.03. 1962 |
||
Heinz Flamm | 03.07. 1929 |
- | 03.12.1965 | ?29.11.1966 | 30.09. 1991 |
09.02. 1959 |
29.11. 1966 |
titl. ao Univ.-Prof.: 17.03.1965 | ||
Manfred Rotter | 06.06. 1940 |
- | 01.10.1991 | 28.06.1995 | 30.09. 2008 |
30.04. 1976 |
27.07. 1979 |
01.04. 1995 |
ao Univ.-Prof. gem. §31 UOG 1975 |
Das Institutsgebäude von 1908
Abb. 2: Das Hygienische Institut in Wien, ca. 1930.
Da die in einem Teil der k.k. Flintenschifterei am Alsergrund, einer Gewehrfabrik aus dem Jahre 1787, gelegenen Laboratorien miserable technische Arbeitsbedingungen boten, musste - 30 Jahre nach der Begründung des Lehrstuhls - in den Jahren 1905-8 für eine zeitgemäße infrastrukturelle Ausstattung eines Universitätsinstituts gesorgt werden. Für das neue Institutsgebäude war die Errichtung eines vierstöckigen Neubaus mit barockisierend-secessionistischen Fassaden und einer verbauten Fläche von 3000 m2 am Standort Kinderspitalgasse 15 vorgesehen. Das Gebäude sollte vier Institutionen beherbergen: Das K.k. Hygienische Universitätsinstitut, die angeschlossene K.k. Allgemeine Untersuchungsanstalt für Lebensmittel, das K.k. Universitätsinstituts für Allgemeine und experimentelle Pathologie und das K.k. Serotherapeutische Institut. Die gestalterische Planung wurde zur Intention des Vorstandes passend an den Wiener Architekten Ludwig Tremmel (∗ 1875 † 1946), einem Vertreter des Historismus, vergeben. Das Gebäude wurde mit der damals modernsten infrastrukturellen Ausstattung versehen: Doppelverglaste Schiebefenster an den Straßenfronten, einer künstlichen Beleuchtung mittels Leuchtgas-Auerbrenner und elektrischer Kohlefadenlampen, einer Lüftungsanlage mit gefilterter, durch Wassersprays entstaubter und im Sommer gekühlter Zuluft, und einer Zentralheizung betrieben mit Niederdruckdampf. Das Errichtungsbudget betrug 1,5 Millionen Kronen, das entsprach im Jahre 2020 einem Betrag von etwa 7,5 Millionen €.
Beim zweiten Bombenangriff auf Wien am 11. Jänner 1945 wurde durch einen direkten Treffer der Mitteltrakt des Gebäudes zum Teil bis zum Erdboden zerstört. Nach dem Eintreffen von russischen Truppen um den 9. April 1945 diente das Gebäude als Truppenquartier. Die Besatzungsmacht konfiszierte das „deutsche” Eigentum (ca. 400 Bücher) am Bibliotheksbestand, dessen Umfang war aber - typisch österreichisch - wegen einer mangelhaften Inventarisierung nicht unzweideutig abgrenzbar. Die Gebäude- und Bestandsschäden konnten allerdings innerhalb weniger Jahre kompensiert werden, drei Dutzend Jahre nach dem Ende des Krieges waren keinerlei die Funktion beeinträchtigende Schäden im oder am Gebäude erkennbar. 1950 wurde eine meteorologische Station in Form eines Turmes an der bis dahin architektonisch weitgehend intakten Straßenfassade zum Gürtel errichtet. Ein Brand am 12. Februar 1991 verursachte massive Schäden in mehreren Laboratorien in zwei Stockwerken, im Großen und im Kleinen Hörsaal. Der „Hörsaaltrakt” wurde danach zeitgemäß neu aufgebaut - dem geänderten Bedarf entsprechenden mit nur zwei kleinen Hörsälen und zwei Seminarräumen. 2012 wurde die Straßenfassade zum Gürtel des ehemaligen K.k. Hygienischen Instituts in restaurierender Weise wiederhergestellt, der inzwischen seit Jahrzehnten funktionslose Turm wurde jedoch belassen.
W4.6 Eigene Publikationen, zum Thema passend
- A245 Hassl A [2009]: Pestilenzen im spätmittelalterlichen St.Pölten: Regionale Seuchenkunde, örtliche Hygiene und Krankenfürsorge. Sant Ypoelten Stift und Stadt im Mittelalter, Diözesanmuseum St. Pölten: 225-32.
- A331 Hassl A [2020]: Hygiene in römischen Provinzstädten. MENSCH - WISSENSCHAFT - MAGIE Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 36-37: 19-67.
W4.7 Fremde Publikationen, zum Thema passend
- Angetter-Pfeiffer D [2021]: Pandemie sei Dank! Amalthea Signum Verlag, Wien; 256pp.
- Bartl A [2021]: Walzer in Zeiten der Cholera. Harper Collins, Hamburg; 392pp.
- Fangerau H, Labisch A [2020]: Von Cholera bis Corona. Spektrum der Wissenschaft 11.20: 28-35.
- Flamm H [2008]: 1908-2008 • Hundert Jahre Hygiene-Institut der Universität Wien. Wien Klin Wochenschr 120: 571-80.
- Flamm H [2008a]: Die ersten Infektions- oder Pestordnungen in den österreichischen Erblanden, im Fürstlichen Erbstift Salzburg und im Innviertel im 16.Jht. Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Medizin 58; 79 pp.
- Flamm H [2012]: Die Geschichte der Staatsarzneikunde, Hygiene, Medizinischen Mikrobiologie, Sozialmedizin und Tierseuchenlehre in Österreich und ihrer Vertreter. Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Medizin 66; 350 pp.
- Klee E [1997]: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. S. Fischer, Frankfurt: 526pp.
- Klee E [2005]: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: wer war was vor und nach 1945. Frankfurt: Fischer, Frankfurt; 736pp.
- Lohff B [2018]a: Gedanken zum Begriff "Wiener Medizinische Schule". In: Daniela Angetter, Birgit Nemec, Herbert Posch, Christiane Druml, Paul Weindling [Hrsg.]: Strukturen und Netzwerke Medizin und Wissenschaft in Wien 1848-1955; V&R unipress GmbH, Göttingen; 41-72.
- Lohff B [2018]b: Das Josephinum als Ort der wissenschaftlichen Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Daniela Angetter, Birgit Nemec, Herbert Posch, Christiane Druml, Paul Weindling [Hrsg.]: Strukturen und Netzwerke Medizin und Wissenschaft in Wien 1848-1955; V&R unipress GmbH, Göttingen; 117-154.
- Steskal M [2010]: Badewesen und Bäderarchitektur von Ephesos in frühbyzantinischer Zeit. In: Falko Daim, Jörg Drauschke [Hrsg.]: Byzanz - das Römerreich im Mittelalter. Monographien des RGZM, Band 84, Teil2: Schauplätze: 573-591.
- Wagner-Jauregg J [1950]: Lebenserinnerungen. Springer Verl., Wien; 232pp.